Eine kleine Geschichte über den einzigen geschwänzten Schultag in meiner achtjährigen Volksschulzeit anlässlich des Gedenkens an den „Heiligen Leonhard“ am 6. November. Ein Tag, der sich heuer zum 82. Mal jährte, ein Tag voller Sorgen und Kummer, den ich bis heute noch nicht vergessen habe.
Dieser „Leonhardstag“ war in der Gemeinde und Pfarre Finkenberg* immer ein kirchlicher Feiertag und aus dem Grund natürlich auch schulfrei. Nach dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938 wurden die meisten kirchlichen Feiertage behördlich verboten. So auch dieser Ehrentag für den heiligen Leonhard.
Meine beiden Sitznachbarn in der dreisitzigen Schulbank kamen auf die Idee, heute nicht in die Schule zu gehen. Diese waren der „Häusl Koral“ und der “Troppmar Franz“, beide drei Jahre älter als ich und sicher nicht immer die besten Einsager. Einen plausiblen Grund dafür wussten wir eigentlich nicht. Aber mit einer gewissen Freigeistigkeit und revoluzzen Einstellung, mit der ich als Kind schon behaftet war und die mir bis zum heutigen Tag geblieben ist: “Wir werden es denen da oben zeigen“ – mag wohl für mich der Grund gewesen sein, dass ich mich den beiden angeschlossen habe.
Die beiden Älteren hatten diesen Entschluss sehr bald bereut und entschlossen sich, doch noch verspätet in die Schule zu gehen. Es würde ihnen schon eine glaubhafte Ausrede einfallen, eine Notlüge für ihr verspätetes Eintreffen. „Nein“, habe ich gesagt, „ich stehe zu meinem Entschluss und bleibe dabei, ich gehe nicht mit euch!“
Es wurde ein trostloser und kummervoller Tag für mich. Die ersten Stunden strawanzte ich im Dorf herum, aber das wurde mir bald leid. Die Fragerei von den verschiedenen Leuten wurde mir zu „blöd“. Bürger aus klerikalen Kreisen sagten: „Bravo Bub, du traust dich was, solche bräuchten wir mehr!“. Andere wiederum sagten: „Das ist nun einmal Gesetz und an diese müsse man sich halten“. Diese Worte ließen mich dann an der Richtigkeit des in der Früh gefassten Entschlusses und Handelns zweifeln.
Von diesen zwiespältigen Gedanken geplagt, mied ich den weiteren Kontakt zu Menschen, um mit meinem Problem allein zu sein. Die Stunden zogen sich endlos und die Sorge, nach Hause zu kommen, gleichzeitig aber auch meiner zu erwartenden Strafe entgegensehend, wurde immer größer. Wenn nämlich meine ältere Schwester Tresl nach Hause kommt und der Mutter berichtet, dass ich Schule geschwänzt habe, gibt es keine Ausreden mehr.
Das Strafgericht, das nach meinem Heimkommen folgte, war gewaltig. Ich bekam von meiner Mutter die größten Schläge meines Lebens. Ein Hosenriemen meines Vaters, der immer hinter der Küchentür hing, war ihr Züchtigungsgerät. Die Schmerzen der Strafe waren eigentlich nicht so schlimm, aber die Ursachen meines Fehltrittes bedrückten mich nachher eigentlich viel mehr. Nach diesem Strafgericht ging ich sofort in mein Bett und stand erst wieder auf, als uns die Mutter zum nächsten Schultag weckte. Der Vater bekam von meiner Missetat nichts mit, denn er war zu diesem Zeitpunkt beim Militär in der Jägerkaserne Absam zur Grundausbildung.
Unsere gute Mutter hatte in dieser Zeit sicher noch anderen Kummer mit der Obsorge ihrer sieben Kinder und der ewigen Angst, ob denn der Vater nach der Ausbildung wieder nach Hause kommt. Mittlerweile war schon der unendliches Elend bringende Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Sie, die ihre sieben Kinder im guten religiösen Glauben erzogen hat, betete mit uns bei jedem gemeinsamen Abendgebet um die baldige Heimkehr ihres Gatten und unseres Vaters. Kurz vor Weihnachten ging unser aller Wunsch in Erfüllung.
In den späteren Jahren tauchten bei meiner Mutter oftmals Zweifel auf, ob Vaters „Hosenriemen“ für meine Strafe das Richtige war. Ihr schien, vielleicht wären mahnende und klärende Worte oftmals besser gewesen. Doch ich bin heute noch der Meinung: „Mutter, du hast es richtig gemacht, der Herrgott möge es dir lohnen! Vergelt‘s Gott“!
*Die Pfarrkirche Finkenberg ist dem hl. Leonhard von Limoges geweiht.