Eine herausragende Stellung in der 40-tägigen Fastenzeit nimmt der sechste Fastensonntag ein, der „Palmsonntag vom Leiden Christi“, wie die vollständige Benennung im römischen Messbuch lautet. In dieser Bezeichnung wird bereits deutlich, dass in der Liturgie dieses Tages zwei Aspekte verschmelzen, nämlich das Gedächtnis des Einzugs Jesu in Jerusalem und das Gedächtnis seiner Passion.
Aus dem Bericht der Pilgerin Ätheria erfahren wir, dass die Christen in Jerusalem zu Beginn des 5. Jahrhunderts sich am frühen Nachmittag auf dem Ölberg zu einem ausgedehnten Wortgottesdienst versammelten, um dann gegen Abend in einer Prozession mit Palm- oder Ölzweigen in Händen in die Stadt Jerusalem zu ziehen. Die Palmzweige, mit denen Jesus beim Einzug in Jerusalem begrüßt wurde, sind Zeichen der Versöhnung und des Friedens. Sein Einzug auf einem Esel macht deutlich, dass sein Königtum nicht von dieser Welt, vielmehr ein Königtum der Liebe ist. Mit dem Palmsonntag beginnt die Kar- bzw. Leidenswoche. In der heutigen Sprache müsste man eigentlich sagen: es ist eine Woche der Skandale. Denn dass da ein „Messias“ auftrat und seine „frohe Botschaft“ vom heileren Dasein verkündete, um dafür ans Kreuz geschlagen zu werden – sogar von den religiösen und politischen Führern seiner Zeit – ist aufregend genug. Wie groß die Hoffnungen waren, die die Leute damals an Jesus und seine Botschaft knüpften, zeigt sich im feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem. Sie riefen: „Hosanna, dem Sohn Davids!“ – Aber etwas später brüllten sie: „Ans Kreuz mit ihm!“ Das Bedeutet: Gottes Liebe muss jetzt zum Leiden seines Messias werden. Von diesem „Muss“ hat Jesus oft gesprochen. Damit wird es jetzt ernst. Die Ereignisse nehmen ihren Lauf. Jesus geht seinen Weg bis in den Tod. Seine Liebe wird immer unbegreiflicher. Doch bald wird Ostern werden. ah