Was haben Johann Wolfgang von Goethe, einer der bedeutendsten Schöpfer deutschsprachiger Dichtung, und Walter Ungerank aus Aschau gemeinsam? FAUST? Nein! Es war und ist der Forscherdrang sowie die Faszination von Mineralien aus dem Zillertal.
Lange blieb diese Erkenntnis verborgen. Schuld daran war wohl ein einfacher Schreibfehler, denn in alten Aufzeichnungen war zu lesen, dass der Dichter, Politiker und Naturforscher Goethe im Jahre 1817 drei Diopsidkristalle aus dem „Zeltenthal” erwarb. Und genau diese drei Diopsidkristalle wurden vor 3 Jahren dank Walter Ungerank und Hubert Klausner in der 23.000 Exemplaren umfassenden Mineraliensammlung von Goethe in Weimar identifiziert. Somit war klar: Sie kamen aus dem Zillertal und nicht aus einem „Zeltenthal“.
In den Jahren 1784 bis 1786 unternahm Belsazar Hacquet, ein Professor für Naturgeschichte in Lemberg eine Reise durch die norischen Alpen und beschrieb unter anderem die wegen ihrer Mineralien beliebten Zillertaler Alpen. Diese Bücher dienten Goethe als Leitfaden für seine mineralogischen Beobachtungen. Die Erfassung der Mineralogie und die Erforschung der Geologie der Alpen war weitgehend Neuland. Dies ist sicher der Grund, warum sich Goethe vor allem für Mineralien aus dem Zillertal interessierte.
Hacquet berichtet von seiner Reise durch die Norischen Alpen (1784 – 1786) „dass in Breitlahner ein Jäger mehrere Quadratschuh große Granatplatten vom Wackseckerkar angeboten habe“. Er schreibt weiters, dass dort ganz senkrechte Wände gebildet seien und Glimmer, Granate und etwas Quarz vorkommen. Auf sehr großen Platten sei auch Strahlschörl. Hier dürfte er sicher die Hornblende gemeint haben. Ebenso erwähnt er „die zwölfseitigen Granate (rubinfarbige Körner), die zu Schmuck verarbeitet würden, welche erst kürzlich auf den Alpen Grawand an dem Orte Hühnersteig entdeckt worden seien“. Diese Granate steckten in schneeweißem glänzenden Glimmer und ebenso gefärbtem Quarz.
Am 21.3.1790 reiste Goethe über den Fernpaß und dem Mieminger Plateau zum Schloss Ambras und besichtigte die damals noch auf dem Schloss komplett vorhandene, berühmte Ambraser Sammlung von Erzherzog Ferdinand II. (1529 – 1595), welche 1805/06 nach Wien gebracht wurde.
Im Jahre 1817 gab es in Innsbruck einen Mineraliensammler, den Hauptmann von Algener, und über K.v. Preen aus Braunschweig gelangte eine Sammlung von Tiroler Mineralien zu Goethe. Unter Nr. 2571-2573 erwarb dieser drei Diopsidkristalle aus dem Zeltenthal.
Am 23.8.2021 wurden diese Exemplare von Klausner und Ungerank besichtigt und eindeutig als Zillertaler Diopside bestimmt. Da diese Kristalle über diverse Händler zu Goethe gelangten wurde aus dem Zillertal ein Zeltenthal.
1818 schickte der Direktor des Hofnaturalienkabinetts (heute Naturhistorisches Museum Wien) Carl von Schreibers an Goethe: Granat in Granit, Granaten und Strahlstein in Chloritschiefer, Quarz, Asbest, Periklin auf Hornblendegestein.
Im Jahr 1822 hat Heinrich von Schönau aus dem Zeltenthal weitere Diopsidkristalle an Goethe verkauft. Auch hier wurde aus dem Schönherr ein Schönau und aus dem Zillertal ein Zeltenthal. Und im Dezember dieses Jahres schenkte vermutlich Großherzog Carl August ihm noch eine weitere Suite von 37 Stück aus dem Bereich des gesamten alten Tirol: Nr.7377 Diopsidkristall (großes Aggregat), 7382 Almandin aus Tirol, 7383 Granate aus Tirol (10 Stück abgerollt), 7385-7386 Almandingranate von Tirol, 7388 schwarzer Turmalinkristall aus Tirol, 7390 Bergkristall aus Tirol, 7391 Cyanit aus dem Zillertal in Tirol, 7394 Spargelstein vom Grainer im Zillertal usw.
Paul Schönherr hat im Jahre 1826 olivgrüne Diopsidkristalle auf der „rothen Wand“ (Rotkopf im Zemmgrund) gefunden und diese in München 1827 verkauft. Interessanterweise befinden sich in der Goethesammlung schon ab 1817 Diopside, denn die erste schriftliche Erwähnung solcher Kristalle wird mit 1826 datiert. Die Diopside in der Sammlung von Goethe können zwei verschiedenen Fundorten am Rotkopf im Zemmgrund zugeordnet werden und auf der Suche nach dem Entdecker der großen Diopside kommt eigentlich nur Schönherr in Frage.
Laut Egg (1990) sang am 15.6.1826 die Nationalsängergruppe Leo in Weimar vor dem Dichterfürsten Goethe, der darüber folgendes berichtet: „Die Lieder und das Gejodel der heiteren Tiroler behagte unseren jungen Leuten. Fräulein Ulrike und mir gefiel besonders der „Strauß“ und „Du, Du liegst mir im Herzen“. Goethe widmete ihnen sein Bild mit Unterschrift und 1828 waren sie wieder in Weimar. Anton Leo erzählte darüber: „Auch sangen wir in Weimar bey dem berihmten Dichter Goethe, dessen Frau wurde unsere Freundin und gab uns Empfehlungen.“ Goethe meinte „dass er das beliebte Jodeln nur im Freien oder in großen Räumen erträglich finde, auch die Melodie ist artig und naiv – ich wäre imstande, das Gleiche zu leisten.“
Später sangen sie in Prag vor dem ehemaligen Tiroler Statthalter „dem die Tränen über die Wangen rollten vor Freude“. 1830 waren sie wieder in Thüringen und Goethe ließ Anton Leo sogar vom Maler Johann Joseph Schmeller zeichnen, der über Jahre die Besucher in Goethes Haus porträtierte. 1831/32 sangen sie in Düsseldorf, Den Haag und 1833 in England usw.
Im März 1829 besuchten wieder Mineralienhändler aus dem Zillertal Weimar und boten auch Goethe „hübsche Sachen“ an und nach Rücksprache mit dem Salinendirektor Glenck und Hofrat Soret (er war Prinzenerzieher) kaufte dann Goethe ca. 300 Zillertaler Mineralien, wie Apatite zwischen Adular, Cyanit usw. Jener hier erwähnte Cyanit (Disthen) ist momentan in Ginzling, im Naturparkhaus zu sehen. Einige Mineralarten konnte Goethe nicht bestimmen, und so wurde der Schlossvogt in Jena gebeten, bei Herrn Zenker in Jena ein „Tiroler Mineral in Säulenform, inwendig derb, auswendig durchaus krystallisiert“ bestimmen zu lassen. Die oben erwähnten Händler dürften mit größter Wahrscheinlichkeit Heinrich Schönherr oder Josef Hofer gewesen sein. Als eventueller Beweis dienen die schlecht getrommelten Granate und jene Diopside, welche erstmals 1826 von Paul Schönherr gefunden wurden.
Zumal die Familien Schönherr – Leo – Hofer laut den vorliegenden Unterlagen gute familiäre Kontakte pflegten, konnten sicher auch gemeinsame geschäftliche Interessen verfolgt werden. Die Familie Hofer besaß Granatgruben, die Familie Schönherr betrieb einen regen Handel mit Mineralien und die Familie Leo kam in Europa als bestbekannte Sängerfamilie „Leonen“ weit umher. (Ihr Elternhaus war der „Wagner“ in Zellbergeben – heute zwischen Autohaus Huber und Hotel Engelhof).
Die Familie Schönherr war damals eine bekannte Mineraliensammler- und Händlerfamilie, die in ganz Europa herumzogen und unter anderem auch am Hof von Amsterdam ihre Waren verkauften. Ihr Mineralienwagen soll angeblich heute noch im mineralogischen Museum in München stehen. Die weitbekannte Sängerfamilie Gebrüder Leo, die ebenfalls in ganz Europa herumkamen und an den meisten Fürstenhöfen der damaligen Zeit sangen, hatten z.B. vier Geschäfte, je eines in Hamburg, Kreuznach, Montreux am Genfersee und eines in Nizza. Je nach Saison wurden sie anfänglich betrieben und ihre Kinder erhielten je ein Geschäft vererbt. Laut alten Angaben sind diese heute noch teilweise im Besitz der Nachkommen.
Josef Hofer war Schneidermeister, betrieb Handel mit Honig und Schnaps, später mit Federweiß (Asbest), den er auch in Fässern nach Deutschland verkaufte, wurde Bergwerksbesitzer und handelte mehr und mehr mit Mineralien, besonders mit Granaten.Da er eigentlich Schneider und Händler war, hatte er vermutlich für Sprengmittel keinen Zugang. Es ist anzunehmen, dass er deshalb bei der ehemaligen Bergbehörde in Hall (um 1820 – 1830) einen Betrieb als „Privatbergwerk Josef Hofer und Wtw. Schönherr“ anführte.
Diese Erläuterung wird deshalb angeführt, weil dies sicher die Erklärung ist, wie Josef Hofer in verhältnismäßig kurzer Zeit europaweite Handelsbeziehungen aufbauen konnte. Er erhielt goldene Medaillen für Ausstellungen in Amsterdam, Budapest, Prag etc. und hatte feste Lagerplätze bei Speditionen in Prag, Rosenheim, Nürnberg usw., war oft monatelang auf Geschäftsreisen bei seinen Handelspartnern in Böhmen und Deutschland und war von 1851 bis 1860 auch Bürgermeister von Zell a.Z.
Die Schönherr waren auch in der Bergbauverwaltung beschäftigt, das beweisen Grubenpläne von 1855 und Franz Schönherr (1862 – 1928) war noch laut Befahrungsbuch und Kopialbuch von 1911 als Schreiber und Aufseher im Goldbergbau tätig und wird im Mineralogischen Taschenbuch von 1911 als mineralkundiger Führer erwähnt.
Im Tags-Blatt für München vom 25. November 1827 ist zu lesen:
Der Mineralienhändler Paul Schönherr, welcher gestern mit einer Sammlung seltener Mineralien dahier im Bauhofe angekommen ist, hat im Jahre 1826 auf dem Hochgebirge des südlichen Zillerthales, auf der rothen Wand (heute Rotkopf) nämlich, ein kristallisiertes Mineral in namhafter Qualität entdeckt, das an Farbe, Durchsichtigkeit und zum Theil auch an Härte dem edlen Smaragd gleicht, und von Mineralogen mit dem Namen Diopsith belegt worden ist. Dies gilt als die erste Erwähnung von Diopsid vom Rotkopf.
Im Münchner Tagsblatt vom 2.12.1831 Seite 643 ist zu lesen:
Der Mineralienhändler Paul Schönherr aus dem Zillertal ist mit einem neuen „Verlag“ (Partie) von Mineralien, Muscheln usw. angekommen und verkauft bis zum 5.12. seine Waren. Er ist zu finden im Bauhof über 2 Stiegen Nr. 4.
Laut vorliegendem Schreiben, datiert Zell am 8.November 1871 an Herrn Dr. Daniel Blatz in Heidelberg werden ihm folgende Mineralien mit Preisangabe angeboten: Magneteisen, Edelgranate, Diopsid, Bergkristall, Bistazit, Glimmer, braune Granate, Strahlstein, Fuchsit, Tremolith, Amethyst, rote Granate, Apatit, lose Granate u. Cyanit.
Leider geht aus dem Schreiben nicht hervor, ob dieses Angebot Paul oder Heinrich Schönherr erstellt hat.
Heinrich (II.?) Schönherr (Geburtsjahr nicht eruierbar – 1928)
Die „Schönherr“ dürften wahrscheinlich durch den ehemals blühenden Goldbergbau nach Zell a.Z. gezogen sein, dadurch scheint dieser Familienname in den Matriken von Zell nicht auf. Es waren vermutlich die Brüder Paul und Heinrich. Ihr Wohnort war die ehemalige Knappensiedlung „Kaiserstatt“ östlich von Zell. Ungefähr 300 Meter entfernt wohnte der Granathändler Josef Hofer (1802-1872).
Im Jahre 1889 wird im Inventarbuch des NHM Wien unter Nr. G 7673 vermerkt, dass Heinrich Schönherr aus Zell a.Z. dorthin einen 21x17x8cm großen Diopsid (Klotz) mit Kristallausbildung von dunkelgrüner Farbe von der Alpe Schwarzenstein verkauft hat.
Aufgrund dieser Fakten ist anzunehmen, dass Heinrich Schönherr aus Zell a.Z. dazu beigetragen hat, dass so viele Zillertaler Mineralien und Kristalle nach Weimar zu Goethe kamen und die vielen Proben von Asbest und Granate könnten aus dem Bestand des Josef Hofer stammen.
Goethes Sammlerstücke im Naturparkhaus Ginzling
Der größte Diopsidkristall, ein Disthen und getrommelte Granate aus der Sammlung von Goethe befinden sich momentan als Leihgabe vom Goethe Nationalmuseum Weimar in Ginzling in der Ausstellung „Verborgene Schätze“.