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Sepp Rauch aus Zell am Ziller berichtet:

Die letzten „Fir- und Firtuner“ in meiner damal igen Heimatgemeinde Finkenberg

Dienstag, 26. Oktober 2021

Zum Nachdenken über zwei Menschenschicksale und ihren tristen Lebensabend – „Unat Jörgal, besser bekannt als Klaubauf Jörgal und Bösdornau Seppl“.

Beide hatten keine gesicherte Bleibe, kein Elternhaus oder Angehörige, die sich um diese bedauernswerten Menschen kümmern hätten können. Die Gemeinde war eigentlich in solchen Fällen für sie zuständig. Die Bauern aus der Gemeinde bzw. die Ortsvorstehung wurden verpflichtet, ihnen über den Winter abwechselnde Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Die Größe des Hofes und der Viehstand war der Richtwert für die Dauer einer Unterbringung, um die kalte Jahreszeit zu überbrücken. Soweit es ihr körperlicher Zustand zuließ, haben sie als Gegenleistung leichtere Arbeiten verrichtet.

Zuerst zum „Klaubauf Jörgal“, der letzten Höhlenbewohner, den ich noch gekannt habe. In der Unate, der nördlichste Ortsteil von Finkenberg, angrenzend an die Gemeinde Schwendau und am Mariensteig gelegen, ein Verbindungsweg zwischen Mayrhofen und dem Weiler Astegg. Die Höhle, ich war nie dort, soll recht nett und ordentlich ausgestattet gewesen sein. Von der Schneeschmelze bis zum Wintereinbruch hatte er dort gehaust. Den Lebensunterhalt den Sommer über bestritt er aus der Haltung von zwei Ziegen und was ihm in der Sommerzeit die Natur gab, nämlich Pilze, Beeren und dergleichen. Kartoffel, etwas Mehl und ab und zu Brot brachten ihm gute Menschen, die diesen Verbindungsweg benutzten. Bei schönem Wetter war Jörgal immer unterwegs. Seine zwei Ziegen mit einem Strick an seinen Hosenriemen gebunden, zog er hinter sich her, sowie natürlich einen Korb am Rücken mit seinen paar Habseligkeiten, und in beiden Händen ein Stock, so habe ich ihn in Erinnerung. Damals als Kind konnte man sich keine Vorstellung machen, wie solche Menschen ohne eine bessere Unterkunft ihr Leben fristen konnten.

„Bösdornau Seppl“
Zwei ledige Brüder hatten das Bauerngütl „Bösdornau“ von ihren Eltern geerbt. Als die Tiroler Wasserkraftwerke in den Zwanzigerjahren nach Fertigstellung des Achensee Kraftwerkes das erste Großkraftwerk im Zillertal planten, haben sie die Bösdornau und die Liegenschaft vom „Unterdornau Bauern“ erworben.
Die beiden Brüder hatten nun Geld, sodass sie eine geregelte Arbeit nicht als notwendig erachteten, denn Arbeit war sowieso nicht ihr größtes Hobby. Wildern und sehr oft ein ausgiebiges „Rastl tun“ war ihnen lieber. Auf diese Art war das Geld aus dem Erlös ihrer Heimat sehr schnell weg. Über diese ihre Tätigkeiten und ihre Lebensweise kursierten in meiner Jugendzeit alle möglichen Geschichten. Eine besagt beispielsweise, dass über Weihnachten, als die Jäger zu Hause bei ihren Familien blieben und deshalb die „Luft rein“ war, die beiden auf die Schrambachkaralm in Dornauberg wildern gingen. Geschossen haben sie nur Gamsböcke wegen der Trophäen – Kricklang und Bärte. Gamsbärte war ja immer ein sehr begehrter Hutschmuck für die Männer. Das Fleisch vom Wildbret, das sie zum Essen brauchten, schnitten sie heraus. Alles andere verblieb dem Raubwild. Der Ältere, Franz, ist verhältnismäßig jung verstorben, den habe ich nicht mehr gekannt. Aber wie man allgemein wusste, war eine geregelte Arbeit nicht ihr großes Hobby. Der leidige Durst aber war ihnen alles eher als zuträglich. Der Spruch lautete damals „Sie trogen holt ebn auf dr Sunnseite“. Eine Krankheit, die leider auch heute noch verbreitet ist. Der Seppl wurde älter und seine Arbeitskraft war auch nicht mehr stark genug, als Taglöhner war er auch nicht mehr gefragt und so war ihm das gleiche Los wie dem „Klaubauf Jörgel“ beschieden.
Über des Ableben vom Klaubauf Jörgal fehlt mir jede Erinnerung, aber an das Sterben von Bösdornau Seppl kann ich mich noch gut erinnern. Im Winter 1938/39, etwas Schnee gab es nur um Weihnachten und ein langes, abnormales Tauwetter trat ein und der Schnee schmolz den Rossknechten unter den Kufen weg und die Holzbringung musste eingestellt werden. „Seppl“ hatte beim Persalwirt und den Bauersleuten Franz und Moidal Hauser seinen Versorgungsplatz. Die Rosser und Holzknechte trafen sich nach ihrer unfreiwillig abgebrochenen Arbeit im Wirtshaus zu einem ausgiebigen „Rastl“ bei mehreren Gläsern Schnapstee. Der Seppl war natürlich auch eingeladen, denn sie brauchten ihn, um von ihm alte Geschichten, „ob wahr oder nicht“ war nebensächlich“, zu hören. Zu später Stunde, dem armen Seppl schmeckte der Tee etwas zu gut, brachte der Knecht Egger Jörg ihn in sein Bett.

Am anderen Morgen, bevor die Holzknechte wieder zur Arbeit gingen, wollte der Jörg ihn wecken und schauen wie es dem Seppl wohl geht, doch der war schon in einer besseren Welt. Der Herrgott hatte ihn zu sich genommen.
Ein makaberer Spruch vom Egger Jörg: „Als er munter wurde, war er hin“.
Eine Geschichte über zwei bedauernswerte Menschen, die das Leben schrieb. Man möchte es nicht glauben, dass sich dies alles in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert zugetragen hat. „Eigentlich gar nicht so lange her“. Aber leider gab es zu dieser Zeit keine soziale Versorgung im Alter und auch keine soziale Einrichtungen wie heute.
Eine Pflichtversicherung gab es nur für Staats- und Landesbedienstete, für Mitarbeitern im Bergbau, in Brauereien, Druckereien und in größeren Betrieben. Alle anderen Bevölkerungsschichten fielen durch den Rost und konnten sich kaum einen Arztbesuch leisten. In schweren Krankheitsfällen wurde dies zur Katastrophe. Im ganzen Zillertal gab es zu der Zeit sechs Ärzte, zwei in Mayrhofen, zwei in Zell und zwei in Fügen. Für die letzten zwei Generationen ist das alles nicht mehr vorstellbar. „Traurig, aber leider es war so“!
Diese Zeilen sollen zum Nachdenken anregen. Auch ich bin mit vielen Vorgängen, Gesetzen und Verordnungen der staatstragenden Politiker in der heutigen Zeit nicht immer einverstanden und stehe dem Ganzen recht skeptisch gegenüber. Doch ich bin dem „Herrgott“ dankbar, dass ich diesen großartigen Aufbau unseres guten Sozialsystems miterleben durfte und wir können nur hoffen, dass es uns erhalten bleiben möge.
Ein Blick in die Zukunft verspricht nichts Gutes. Ich mache mir oftmals Sorgen, nicht für mich, sondern um alle jüngeren und jungen Menschen und ihre Zukunft.
Sepp Rauch aus Zell

Zillertaler Zeitung

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